Sieht so Insektenschutz aus?

 

Das Volksbegehren zum Bienen- und Insektenschutz ist nun schon über ein Jahr her. Damals sah man viel guten Willen:  ganze Wiesen und Felder waren bunt, eingesät mit Mohn und Kornblumen, Städte und Gemeinden legten bunte Wiesen an. Auf jeden Fall optisch sehr attraktiv, wenn auch nicht immer mit dem gewünschten Effekt für die Insekten. Um nämlich tatsächlich etwas bewirken zu können, sind auch Kenntnisse über die Lebensweise der verschiedenen Insektenarten erforderlich.

Insekten suchen auf den Wiesen Nahrung wie Blütenstaub und Nektar, soweit ist das allen klar. Das sind Bienen, Wespen, Käfer, Schmetterlinge.

Im Juni 2020 hatten viele Felder diesen Aspekt.

 

Aber nun kompliziert sich die Sache schon, weil die verschiedenen Arten unterschiedliche Ansprüche haben. Verweilen wir etwa kurz bei den Bienen: Sie brauchen Blütenstaub und Nektar zur eigenen Ernährung, aber auch zur Aufzucht ihrer Nachkommenschaft. Unsere Honigbienen werden zwar in Stöcken kultiviert, aber die Wildbienen, die für die Bestäubung unserer Kulturpflanzen genauso wichtig sind wie die Honigbienen, leben meist in selbst gegrabenen Röhren im Boden. Diese Brutstätten müssen dauerhaft so lange existieren können, bis der Nachwuchs ausfliegen kann.  Und weil das dauert, ist exakt das ein Erfordernis, das eine kurzzeitig angelegte und dann bald gemähte Blumenwiese oft nicht erfüllen kann.

 

 

Andere Arten fressen die Pflanzen. Vor allem ihre Blätter, manchmal auch ihre Wurzeln (z.B. die Engerlinge). Zu solchen Blätterfressern gehören Heuschrecken und auch verschiedene Käferarten. Aber auch Schmetterlinge, deren Zahl im Laufe der Jahrzehnte erschreckend gering geworden ist. Ihre Larven, die Raupen, fressen Blätter (wie übrigens auch diverse Wespenarten). Aber nicht alle Blätter, sondern Schmetterlingsraupen sind spezialisiert. Jede Art ernährt sich nur von ganz bestimmten Pflanzenarten, z. B. das Pfauenauge von der Brennessel, der Schwalbenschwanz von Dill-Verwandten, der Aurorafalter vom Turmkraut usw. Man kann gelegentlich eine Schmetterlingsdame beobachten, wie sie dicht über den Pflanzen fliegt, sich da und dort ganz kurz „niedersetzt“ und gleich wieder weiterfliegt. Sie sucht zur Eiablage die „richtige“ Pflanzenart, indem sie ein Blatt betastet und mit ihren Geschmackssinnesorganen – sie befinden sich an ihren Füssen - schmeckt, ob sie die richtige gefunden hat.  Solange nun ihre Kinder, die Raupen, wachsen, muss ausreichend Blattnahrung vorhanden sein. Dann verpuppen sich die Raupen. Und in diesem Stadium wartet die nächste Herausforderung: Bei manchen Schmetterlingsarten (z.B. der Zitronenfalter) „hängen sich die Puppen nämlich auf“, d.h. sie fixieren sich an geeigneten Stängeln – und diese müssen den Winter über stabil bleiben, damit im Jahr darauf der Schmetterling schlüpfen kann.  Oder Schwärmer beispielsweise  graben sich für den Winter in die Erde ein.

 

So braucht der Schwalbenschwanz bestimmte Doldenblütler - Gewächse (z.B. den Dill) oder der Aurorafalter Kreuzblütler - Arten (Beispiel das Turmkraut, nicht im Bild))

 

Andere Beispiele für die Vielfalt des Lebens in einer Wiese wären: Blattläuse saugen Pflanzensäfte bestimmter Pflanzenarten. Ameisen lieben die süßen Ausscheidungen der Blattläuse wiederum und beschützen und verteidigen sie deshalb auch. Manche Wanzen saugen ebenso ausgewählte Pflanzensäfte; andere sind jedoch Räuber und saugen ihre Beutetiere aus. Und vieles mehr…

 

Soweit der vereinfachte Versuch, einige wenige Geschehnisse und Vorgänge im Biotop Blühwiese zu skizzieren. Bei näherer Betrachtung sind die Verhältnisse viel komplizierter. Für das Verständnis, wie sich ein dauerhafter Lebensraum für Insekten entwickeln kann, erscheint mir also wichtig:

 

Konsequenz 1: Damit eine Wiese dem Anspruch des Insektenschutzes genügen kann, muss sie eine Vielzahl verschiedener Pflanzenarten aufweisen.

Konsequenz 2: Eine Blühwiese muss dauerhaft Bestand haben und darf nicht zu früh und schon gar nicht auf einmal gemäht werden.

NUR DANN DIENT EINE BLÜHWIESE DEM INSEKTENSCHUTZ! Alles andere gaukelt ihn lediglich vor.

 

Die Bilder zeigen die gleiche Wiese im Jahresverlauf. Lediglich sind die Kraniche am Nachbarfeld fotografiert.
Der Reihe nach: Februar, März, April, Mai, Juli,Juli, August, September

 

Natürlich müssen Wiesen auch gemäht werden, sonst verbuschen sie, d.h. sie wachsen mit Sträuchern und Bäumen zu, die sich selbst ansäen.  Entscheidend ist jedoch der Zeitpunkt (!) der Mahd: Er sollte dem Überleben der in der Wiese lebenden Insekten für ihre Entwicklung in den verschiedenen  Stadien (Ei, Larve/Raupe, Puppe, Endgestalt) die notwendige Zeit lassen.

 

Zur Zeit wird vieles, man könnte fast meinen, alles gemäht: die Deiche an Bächen, die an der Donau, die Wiesen rund um den Parkplatz des Landratsamts… Das Ergebnis: Bis auf die wenigen (bereits oder überhaupt) flugfähigen Insekten, die noch rechtzeitig weggeflogen sind, werden alle anderen von den Mähgeräten zermatscht oder landen lebendig in den gepressten Heuballen.

 

Bild 1 und 2: das waren die stehen gebliebenen Reste an denen ich am 24.7.21 in einer halben Stunde über 20 Insektenaren fotografiert und einige mehr beobachtet hatte.

Bild 3 und 4: die Wiese nach der Mahd. Ein kleiner Rest (Bild 1) blieb stehen.

Die folgenden zwei Bilder zeigen eine Auswahl.

Da es in Mitteleuropa über 500 Wildbienenarten gibt, ist diese Bestimmung nur bedingt zuverlässig, obwohl ich Fachleute gefragt habe.

Für manche Arten gibt es auch keine deutschen Namen.

 

Wo also bleibt der dringend erwünschte Schutz der Insekten?!  – Oder ist er vielleicht gar nicht so dringend erwünscht wie die auf dem Anschein des Insektenschutzes basierenden Wählerstimmen?

 

Ganz praktisch könnte das heißen:

 

Deiche ziehen sich Kilometer lang an den Flusssystemen hin und stellen einen idealen Biotopverbund dar. Auch wenn die Erkennung von Biberlöchern für den Hochwasserschutz einen hohen Stellenwert hat, könnte man vielleicht doch unterhalb der Deichkrone einen Streifen stehen lassen. Und am Landratsamt gibt es meines Wissen zwar keine Biber, aber eine Untere Naturschutzbehörde. Und da hätte wohl  jeder Mitarbeiter eine Idee für einen möglichen Kompromiss zwischen Parkplatzpflege und Wiesenmahd vorschlagen können. - Das wäre ein Stück weit ein vorbildhaftes Verhalten für Bürger, die ihrerseits sehr wohl von offizieller Seite angeregt werden, ihre Gärten insektenfreundlich zu gestalten!

 

So schaut der linke bzw. rechte Donaudeich vor dem Mähen aus

 

einige Insekten nach kurzem Fotoaufenthalt

 

Ich fürchte, dass das nicht geschieht, hängt im weitesten Sinn mit dem Streben nach Minimierung des Arbeits- und Kostenaufwandes zusammen. Es wird auch weiterhin viele Menschen geben, die (noch!!) nicht einsehen können, wie wichtig für unsere Zukunft eine einigermaßen intakte Natur ist. Auch die Biodiversität unter den Menschen ist ja recht unterschiedlich. Es gibt durchaus etliche, die von rein gewinnmaximierend denkenden Menschen als antiquiert betrachtet werden: Denen Naturerlebnis etwas bedeutet, die Blumen lieben, die sich gerne das Zirpen von Grillen und den Gesang der Vögel anhören, die den Duft der Blumen genießen können. Es gibt inzwischen sogar eine Menge von Untersuchungen, die belegen, dass das Erleben von Natur der Gesundheit förderlich ist. Das Geld, das man sich für eine zweite Mahd der Wiesen im Herbst sparen kann, wird – provokant gesagt - möglicherweise bei den Krankheitskosten der Menschen in größerem Umfang ausgegeben. Um das zu sehen, müsste jedoch nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch einmal volkswirtschaftlich gedacht werden, selbst wenn man mit Biologie nichts am Hut hat.

 

Sind unsere Politiker damit überfordert?

 

Werner Oertel
LBV