Der Frühling kommt, der Winter geht

 

 

Tür auf, Winter raus, Frühling rein, Tür zu. So klappt es nicht. Frühjahr ist ein Geschehen, das eine gewisse Zeitspanne benötigt. Dabei wird jeder neue Tag länger als der vorhergehende. Das bedeutet: die Sonne kann jeden Tag länger die Erde erwärmen, wenn es die Wolken oder Winde zulassen. So weckt die Wärme auch die noch schlafende Pflanzenwelt. Am 6. Februar hat das erste blühende Frühlingsknotenblümchen im Auenwald beim Grieshaus heraus gespitzt, aber das war nur eine zaghafte Ankündigung des Frühjahrs. Die folgenden Tage bis heute waren und sind eine harte Auseinandersetzung mit dem Winter. Frost, Schneegestöber, zugefrorene Bäche wechseln mit sonnigen Tagen, die regelmäßig länger und letztlich wärmer werden.

 

Im Januar/Februar ist der Regen oft noch zugefroren. Aufspritzendes Wasser bleibt an Zweigen und Gräsern hängen und bildet Eiskugeln.
Die Stockente übt sich im "Enten-Schlittschuhlauf" und für die Wasseramsel beginnt die "Hohe Zeit".

 

Winterende im Bereich der Donau.

Bild 1 Höckerschwäne halten sich in oft großen Trupps zum Fressen auf dem Grünland auf.

Bild 2 Donaualtwasser

Bild 3 der Saulochbach

Bild 4 diese eindrucksvolle künstlerische Aufnahme zeigt schlafende Dohlen mitten in Deggendorf.
           Dieser Schlafplatz wird sich bald auflösen und die Vögel kehren in ihre Brutgebiete zurück.

 

Ende des Winters finden wir die Vögel, die bei uns stets noch genügend Futter fanden. Das können unsere Dauerbewohner sein wie Amseln, Meisen, Spatzen. Das können allerdings auch andere Individuen sein und die Amsel oder der Spatz, der jetzt an unserer Futterstelle ist, ist für uns einfach nicht unterscheidbar von dem, den wir im Sommer wieder sehen. Am Bogenbach hielt sich lange Zeit ein Trupp von (Erlen)Zeisigen mit mindestens 40 Tieren auf, die an einem nahe gelegenen Balkon mit Sonnenblumenkernen versorgt wurden. Rabenkrähen bettelten Hundespaziergänger an, Stockenten und Lachmöwen, die oft in einer Hundertschaft auf dem Dach des Arbeitsamtes saßen, ließen sich ebenfalls gerne füttern. An unseren Altwässern vergesellschafteten sich mit Schnatterenten, Graugänsen, Kormoranen, Grau- und Silberreihern etliche Gäste aus dem hohen Norden wie Spieß- und Pfeifenten.

 

Körnerfressende Vogelarten suchen Futterplätze.
An dieser Fütterung in der Winzer Schleife - von einer Frau betreut - sind gleichzeitig meist über 50 Tiere eifrig beschäftigt.

 

Wenn der Winter kalt genug ist, können wir bei uns auch nordische Arten entdecken.
Bild 1 Pfeifenten

Bild 2 Spießenten

Bild 3 + 4 Kraniche

 

Im Laufe des Monats März verließen uns die Erlenzeisige. Es verbesserte sich das Futterangebot am Boden. Brachvögel, durchziehende große Kiebitz- und Starenschwärme begeisterten mit ihren Flug-Choreographien uns Beobachter. Ein kleiner Teil der Vögel blieb bei uns, der Rest zog nach Norden weiter. Gelegentlich waren auch nicht so leicht beobachtbare Arten darunter wie Bekassinen, Goldregenpfeifer, Kampfläufer oder auch Kraniche.

 

 

 

Die Natur reagiert auf dieses Geschehen in vielerlei und für jeden sichtbarer Weise. Unübersehbar sind die Veränderungen in der Pflanzenwelt. Jetzt Anfang April treiben trotz Schneefall Traubenkirschen, Weiden, Holunderbüsche ihre Blätter. Mein Blick richtet sich jedoch vor allem auf die Vogelwelt, hier ist der Vorgang deutlich unübersichtlicher aber umso interessanter.

 

Bild 1 Clematis-Fruchtstände dekorieren auch im Winter die kahlen Büsche und Bäume

Bild 2 + 3 Frühlingsknotenblumen blühen jetzt schon am 7. Februar

Bild 4 die ersten Sträucher, die austreiben, sind die Traubenkirschen

 

Je nach Wetter halten viele Arten bei uns zum Zwischenstopp, bevor sie nach Norden weiterfliegen.

Bild 1 Stare

Bild 2 Kiebitze

Bild 3 Brachvögel

Bild 4 Goldregenpfeifer

 

Blüten und Blätter treiben aus

Bild 1 Frühlingsplatterbse

Bild 2 Kastanie

Bild 3 Pimpernuss, eine heimische, aber seltene Art

Bild 4 keine Raupe - ein blühendes Weidenkätzchen!

 

Bild 1 ein Wollschweber

Bild 2 der Ölkäfer

Bild 3 eine Erdhummelkönigin

Bild 4 einer aus der Gruppe der Weichkäfer

 

 

Unsere heimischen Spechte (Schwarz-, Grau-, Grün-, Bunt-, Mittel- und Kleinspecht) haben mit der Balz begonnen, arttypische Rufe oder arttypisches Trommeln tönten durch die Auenwälder. Sie können es sich ja leisten, mit der Brut früh zu beginnen. Ihre Eier werden in geschützten Baumhöhlen abgelegt und Insektenlarven können sie auch im Winter aus den Baumstämmen und Ästen heraus hacken.

 

Bild 1 Mittelspecht

Bild 2 Buntspechtweibchen

 

Die ersten Bodenbrüter sitzen schon auf den Eiern: Kiebitze, Schwäne, Graugänse…. Bei den Schwänen fällt auf, dass in den Gewässern nur wenige Paare sind, der große Rest hält sich auf Grünflächen auf. Das sind Gruppen zwischen 20 und 50 (oder mehr) Tieren, welche von den „Revierbesitzern“ vertrieben wurden. Sie müssen mit dem Brüten so lange warten, bis ein Revier frei geworden oder neu entstanden ist.

 

Späte Schneefälle

Bild 1 Flußregenpfeifer bei Nahrungssuche

Bild 2 Kiebitz am Nest

 

Einige "Watvogelarten" (limikolen) bleiben da oder ziehen noch durch
Bild 1 Kampfläufer (Durchzügler)

Bild 2 Großer Brachvogel (früher bei uns häufiger, mittlerweile seltener Brutvogel)

Bild 3 Bekassine (früher bei uns Brutvogel)

Bild 4 Grünschenkel (Durchzügler oder Sommergast)

 

Der Flußregenpfeifer brütet auf kiesigen, wenig bewachsenen Flächen

 

Die Schwalben sind zurück. In feuchten Pfützen suchen sie nach Lehm, den sie mit ihren Schnäbeln heraus stechen. Damit bauen sie ihre Nester oder bessern alte Nester aus.

Stare haben schon im Februar unseren Nistkasten besichtigt. Wer früh zurück ist, hat die besten Chancen für eine gute Wohnung. Nachdem sie viele Tage Nistmaterial eingetragen haben, der Herr für sein Dame unsere Schneeglöckchenblüten abgezupft und in den Nistkasten geschleppt hat, sitzt er jetzt stundenlang auf einem Ast vor dem Kasten und singt.

Für Schwalben wird das Angebot an feuchtem Lehm spärlich. Das wäre aber eine Voraussetzung zum Bau ihrer Nester.

 

Unsere Deggendorfer Störche haben es mit der Wohnungssicherung noch geschickter gemacht: sie sind im Winter einfach hier geblieben. Schließlich gibt es als Futter genügend Mäuse auf Wiesen und Feldern. Und wenn ein Star einmal recht nahe kommt, wird er einfach auch „mitgenommen“.

 

Vor Ostern war es nun teilweise schon so warm, dass viele Insektenarten (Bienen, Hummeln, Fliegen, Mücken) in den Sonnenstunden flogen. Sie stellen das Nahrungsangebot für die Insektenfresser dar, die den Winter in Südeuropa oder Afrika verbracht haben. Zilpzalp und Mönchsgrasmücke, Sommergoldhähnchen, Feldlerchen verrieten sich durch ihren Gesang. Jetzt nach Ostern ist ein lebhafter, wenn auch völlig unspektakulärer Durchzug der Bachstelzen und der Rotschwänzchen beobachtbar. Auf vielen Feldern und Gewässerrändern sind sie unauffällig verteilt bei der Nahrungssuche. Die Flußregenpfeifer haben ihre vorjährigen Nistplätze wieder aufgesucht und auch Rohrweihen kreisen schon über Schilfflächen, in denen sie möglicherweise auch brüten.

 

April/Mai beginnt für die meisten Arten die Brutzeit.

Bild 1 Bachstelze mit Nistmaterial im Schnabel

Bild 2 Wiesenpieper

Bild 3 Weibchen von der Mönchsgrasmücke

Bild 4 Zilpzalp

 

April/Mai ist auch die Zeit der Grüntöne. Jede Baum- und Strauchart hat ihr "eigenes" Grün, das sich allmählich in ein "Einheitsgrün" verwandelt
Bild 2 Stieglitz frisst die Samen vom abgeblühten Löwenzahn
Bild 3 Fasanenmännchen

Bild 4 der Schwarze Milan ist aus dem Winterquartier zurück gekehrt.

 

Eine besondere Beobachtung hat mich teilweise fasziniert, teilweise schockiert. Unsere Spatzenschar im Garten ist viele Monate im Jahr eine friedliche Einheit. Sie fressen miteinander, fliegen miteinander vom Boden auf, landen miteinander im Gebüsch, fliegen wieder miteinander auf den Boden zum Fressen zurück,  sitzen miteinander längere Zeit in einem Strauch und unterhalten sich in der Spatzensprache, kurz:  ich habe den Eindruck, sie sind eine eingeschworene Gesellschaft. Doch jetzt kann es passieren, dass plötzlich ein Mitglied der Gruppe von den anderen verprügelt wird. Vor kurzem ist ein solcher armer Teufel zwischen den Gießkannen vor der Terassentür gehockt. Als ich die Tür öffnete, hat er im Haus Zuflucht gesucht. Er wurde offensichtlich aus der Gruppe ausgeschlossen. Warum? Hat er sich an die Frau des Anführers heran gemacht? Es „menschelt“ auch bei den Spatzen. Spatzen wie Menschen – zwei Spielarten der Natur.

 

 

 

Es stellt sich eine Frage: Wie kommt eigentlich dieses gesamte Geschehen zustande? Man weiß, dass die Jahreszeiten eine Folge der Drehung der Erde um die Sonne sind. Pflanzen wachsen und blühen als Reiz auf die Wärme. Der Verhaltenskomplex „Brut“ bei den Vögeln wird dagegen über die Tageslänge gesteuert. In Experimenten hat man den Hormonhaushalt der Vögel untersucht und festgestellt, dass das Gehirn die stetig länger werdenden Tage wahrnimmt und über spezielle Hormone und Nervenverbindungen die Geschlechtsorgane anregt. Diese entwickeln Ei- oder Spermazellen, erzeugen aber gleichzeitig Geschlechtshormone, die ihrerseits wieder Rückwirkungen auf das Gehirn und andere Organe haben. So stößt in einer komplizierten Kette ein Organ ein weiteres an. Das führt dann zum typischen Verhaltensmuster in der Fortpflanzungszeit: Singen bedeutet Abgrenzung eines Revieres, Vertreibung männlicher Konkurrenten, Anlocken eines Weibchens, und sicherlich werden auch noch viele andere Mitteilungen weitergegeben. Diese Details sind für uns (noch?) nicht verständlich, schließlich leben die Vögel in einer anderen, nämlich ihrer Welt. Da geht es mir mit dem Gesang der Vögel so wie mit den Reden unserer potentiellen Kanzlerkandidaten. Dem Singen schließt sich der Nestbau an, das Nest wiederum ist ein Reiz für das Weibchen seine Eier abzulegen und diese erzwingen dann den Bebrütungsvorgang. Sind die Jungen geschlüpft, wirken ihre aufgesperrten Schnäbel als Schlüsselreiz für die Eltern, Futter heranzuschaffen und es in den Rachen zu stopfen. Das kann sich hinziehen, denn schließlich werden bei vielen Arten den bereits flugfähigen Jungen noch über einen gewissen Zeitraum wichtige Fertigkeiten zum Leben gelehrt, die sie für ihre Selbständigkeit brauchen. Und die tatsächlichen Zusammenhänge der von uns bewunderten liebe- und freudvollen Elterntätigkeit sind sogar noch um einiges komplizierter.  

 

 

Eines ist sicher: Die Vögel singen nicht zum Vergnügen der Menschen, auch wenn wir unser Vergnügen dabei haben dürfen. Sondern Singen ist ein lebenswichtiger Prozess für die gesamte Art und bedeutet wahrscheinlich für die Tiere mehr Stress als Freude. Dass sie im Frühjahr singen, ist Teil ihres Verhaltensrepertoires zur Reproduktion/Brut ausgelöst durch physiologische Prozesse.

 

 

 

 

Eine Beobachtung kann man mit der steigenden Tageslänge freilich nicht erklären. Woher wissen die Zugvögel, die im Winter südlich des Äquators sind, wann die Zeit zur Rückreise ansteht? Die Fachleute erklären das mit einer „inneren Uhr“, die genetisch verankert ist. Dass es so ist, scheint zweifelsfrei. Wie es im Einzelnen funktioniert, ist unklar. Viele ornitologischen „Uhrmacher“ untersuchen zur Zeit diese innere Uhr.

 

 

Und auf Geheiß dieser Uhr werden in den kommenden Wochen noch viele Vogelarten zu uns zurückkehren. Heute am

11.4.21  hat der Frühling schon einen Fuß ganz fest zwischen Tür und Angel geschoben. Noch ist er nicht „drin“, aber bald hat er es geschafft. Dann kann ihm der Winter nur noch in das offene Fenster hinein pusten.

 

 

Werner Oertel