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Kaum ein Vogel hat bei den Menschen so viele magische Vorstellungen ausgelöst wie der Kuckuck. Je nach Land und Gegend wurden seinem Ruf die unterschiedlichsten
Bedeutungen unterlegt. Nur wenige Beispiele:
Hört man seinen Ruf, darf man sich was wünschen. Der Wunsch geht in Erfüllung, wenn man gleich danach einen Purzelbaum oder ein Kreuzzeichen macht. Bis heute hält
sich der Spruch, dass man beim Kuckucksruf dreimal auf den Geldbeutel klopfen muss, damit man für den Rest des Jahres finanziell sichergestellt ist. In anderen Gebieten durfte man seinen Ruf nicht im nüchternen Zustand hören, sonst wurde man dickbäuchig oder starb den Hungertod. In manchen Landstrichen nahm man
sich am Vorabend in einer Dose Brot mit ins Bett, um gleich nach dem Erwachen etwas essen zu können. Eine Möglichkeit soll es aber gegeben haben, dieser Verwünschung zu entkommen: Man musste sich
sofort am Boden wälzen. - Leider ist es heute wohl nicht (mehr) so, dass diesem Fluch auch diejenigen unterliegen, die in Bestechungsaktionen verwickelt sind, sonst käme man angesichts der Vielzahl sich am Boden Wälzender aus dem Staunen nicht mehr heraus. - Bei derartigen Erfahrungen will man vom Kuckuck
verständlicherweise nichts wissen, daher weg mit ihm: „zum Kuckuck“! Als man im Laufe der Zeit mehr über das Leben des Kuckucks lernte, entwickelte sich auch noch eine andere, eine moralische Entrüstung: Ein Vogel, der seine Eier in
die Nester anderer Vögel legt und seine Jungen von ihnen aufziehen lässt, ist ein Strolch, der alle christlichen Tugenden verleugnet, und er gehört geächtet. So war es dann auch und – das gilt
manchmal noch heute.
Über den Kuckuck wusste man lange Zeit sehr wenig. Im Frühjahr hört man oft zwar den Ruf des Kuckucks, aber man sieht nur selten einen. Ende des Sommers ist er dann ganz verschwunden, und er taucht erst wieder im nächsten Frühjahr auf. Vom Vogelzug war im Grunde nichts bekannt. So nahmen die
einen an, dass er in einem Stein oder einem Stück Holz eingeschlossen erstarrt, andere waren der Überzeugung, dass er sich in einen Sperber oder Habicht verwandelt. (Beide Vogelarten haben
tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm, wenn man nur flüchtig hinschaut.) Im Zweifelsfall bezog man sich auf Aristoteles, der zu wissen meinte, dass der Kuckuck seinen Speichel auf Pflanzen
spuckt und dass in ihm dann Heuschrecken entstehen. (Lösung des Rätsels: Das ist Zikadenschaum.)
Die ersten „naturwissenschaftlichen Untersuchungen“olHH begannen im
17. Jahrhundert und bestanden im Abschießen oder Fangen, Vermessen, Ausstopfen der Vögel und Lagerung der Bälge in den Schubläden der Museen. Eine wesentliche Erkenntnis war folgende: Dem Kuckuck
wachsen im Magen Haare. Das geduldige Beobachten der Vögel in ihrem Lebensraum bekam erst viel später in der Wissenschaft seinen Stellenwert. Einen Meilenstein setzten Forscher wie die
Nobelpreisträger Konrad Lorenz und Niko Tinbergen, die zeigen konnten, dass Tiere nicht nur – im Gegensatz zum Mensch, der vermeintlichen „Krone der Schöpfung“ – blind funktionierende
Instinktmaschinen sind, sondern als Spezialisten für ihren arteigenen Lebensraum mit uns vergleichbare verstandesmäßige und emotionale Fähigkeiten entwickeln können. So wurde auch bekannt, dass
der Kuckuck halt der einzige heimische Vogel ist, der langhaarige Raupen frisst, die in seiner Magenwand stecken bleiben. Sie wird deshalb von Zeit zu Zeit erneuert. Und schon bekam der Kuckuck einen anderen Ruf, er wurde zum Nützling erhoben, weil aus den langhaarigen Raupen Schmetterlinge hervorkommen, welche Bäume abfressen.
Exakte Untersuchungen brachten ans Licht, dass Kuckucksmännchen und –weibchen unabhängig voneinander
getrennte Reviere besitzen, in denen sie ihre potentiellen Wirtsvögel genau beobachten. Wenn diese mit ihrer Eiablage beginnen, legt der Kuckuck in einem unbeobachteten Moment ein Ei in deren
Nest und entfernt dafür eines der Wirtsvogeleier. Das Kuckuck-Küken schlüpft früher als die Stiefgeschwister und schiebt die übrigen Eier, auch eventuell schon geschlüpfte Jungvögel seines
Wirtspaares aus dem Nest. Dabei stemmt er sich mit seinem Rücken zur Nestwand und schiebt alles, was er durch Berührung spürt, über den Rand. Die am Boden liegenden Jungen werden von ihren Eltern
nicht gefüttert und sind dem Tod geweiht. Es kann aber auch passieren, dass der junge Kuckuck so eifrig im Hinauswerfen ist, dass er selber aus dem Nest fällt. Dann ist auch sein Schicksal
besiegelt.
Das klingt alles sehr banal, ist es aber nicht. Von unserem Kuckuck kennt man immerhin bis zu 100 potentielle Wirtsvögel – darunter ist sogar der Zaunkönig. Deren
Eier unterscheiden sich je nach Vogelart in Größe, Form und Farbe deutlich. Das eingeschmuggelte Kuckucksei stimmt nun im Aussehen sagenhaft gut mit dem jeweiligen Wirtsvogelei überein, es ist lediglich immer etwas größer. Man fragt sich, ob denn das
Kuckucksweibchen nach Wunsch seine Eier denen des gerade sich anbietendem Wirtsvogel anpassen kann. Die Antwort liegt in einer wieder erstaunlichen Erkenntnis: Jedes Kuckucksweibchen legt nur
eine ganz bestimmte Eivariation, eine, die nur einer Wirtsvogelart ähnlich ist . Die Nester dieser Vogelart muss das Weibchen nun während der gesamten Brutzeit kontrollieren. Denn es legt im
Durchschnitt um die 9 Eier und wenn Frau Kuckuck wieder ein neues Ei legen muss, braucht sie ein Wirts-Nest in der richtigen Brutphase. Es gibt also „Rohrsänger-Kuckucke“, „Bachstelzen-Kuckucke“,
„Rotschwanz-Kuckucke“, „Grasmücken-Kuckucke“ und viele mehr.
Rohrsänger füttert jungen Kuckuck
Jungkuckucke schon flügge und selbständig
Wie sich beim Kuckuck diese Eimuster in der Evolution herausgebildet haben, ist immer noch eine offene Frage: Wie ist es möglich, dass die Weibchen derselben
Vogelart ganz unterschiedlich gefärbte Eier legen? Was man weiß, ist, wie ein Kuckucksweibchen seine Wirtsvögel für die Eiablage erkennt: Die Mutter
beispielsweise eines „Rohrsängerkuckucksweibchen“ hatte auch Rohrsänger als Wirtsvögel „betrogen“ und so hat ihre Tochter in ihrer Kindheit und Jugend die Rufe, den Gesang und verschiedene
Verhaltensweisen der Rohrsänger in ihrem typischen Schilflebensraum kennen gelernt und weiß somit, wonach sie jetzt als werdende Mutter suchen muss.
Aber gibt es dann auch zum Kuckucksweibchen das passende Männchen, denn die Eigenschaften an die Nachkommen werden ja von beiden Eltern vererbt? Nein, die gibt es
nicht. So scheint der Fall noch komplizierter zu werden, aber nur ein klein wenig, denn: Im Gegensatz zum Menschen hat das Kuckucksmännchen zwei gleiche, das Weibchen aber zwei verschiedene
Geschlechtschromosomen. Übernimmt man die Begriffe, die für die menschlichen Chromosomen verwendet werden, hat das Kuckucksweibchen XY, das Männchen dagegen XX. Die Anlagen für die Eiausbildung
liegen auf dem Y-Chromosom und da nur die Weibchen ein Y-Chromosom besitzen, wird die Anlage für die Eiausbildung immer nur von der Mutter zur Tochter vererbt, die Männchen spielen in diesem
Zusammenhang überhaupt keine Rolle.
Nochmal zurück zum Eierschmuggel. Manchmal erkennen die Wirtsvögel tatsächlich das fremde Ei, was einmal
bei einer Filmaufzeichnung im Fernsehen eindrucksvoll gezeigt wurde. Das Rohrsängerweibchen hatte da das Kuckucksei mit seinem Schnabel aufgehackt, das Frühstück eines rohen Kuckucksei zu sich
genommen und die Schalen anschließend aus dem Nest entfernt. Eine Ausnahme? Im Allgemeinen wird das größere Ei eher sogar bevorzugt, genauso wie der Riesenrachen des Jungkuckucks einen besonderen
Fütterungsreiz auslöst. Und es erscheint geradezu grotesk, wenn der Jungkuckuck allmählich die vielfache Größe seiner Wirtseltern annimmt und diese sich dann sogar auf seinen Rücken setzen
müssen, um dem Unersättlichen die herangebrachte Raupe in den Schnabel schieben zu können. Nach etwa 3 Wochen wird dann der junge Kuckuck flügge, lässt sich aber noch wochenlang außerhalb des
Nestes füttern, bis er dann im August zum Überwintern alleine nach Afrika südlich des Äquators zieht. - Wieder ein Thema mit vielen Fragezeichen, das man zurzeit untersucht, indem man die Vögel
besendert und über Satelliten-Telemetrie Details erforscht. Dieses Projekt kann man life unter „Cuckoo Tracking Project | BTO - British Trust for Ornithology“ verfolgen.