Segelflieger

 

Auch in diesem Sommer brüteten in Deggendorf wieder Segelflieger. Einen davon beobachtete ich eine ganze Weile voller Faszination: Ich sah, wie er an einem sonnigen Tag um die Mittagszeit ganz  ohne Flügelschlag über dem Stadtzentrum kreiste, immer höher stieg, immer kleiner wurde und schließlich – immer noch ohne jeden Flügelschlag - in Richtung Donau entschwand. Es war einer unserer Störche. Wie macht er denn das?

 

 

 Um das zu verstehen, muss man folgendes  wissen:

  • Wenn ich einen Papierflieger falte und ihn gerade aus werfe, gleitet er (mit ein wenig Glück) in Flugrichtung langsam zu Boden
  • Wenn ein Vogel die Flügel ausbreitet und sich nach schräg vorne fallen lässt, gleitet er ebenfalls und landet in einer gewissen Entfernung am Boden.
  • Im Unterschied zum Papierflieger ist der Vogel freilich deutlich schwerer und er würde eigentlich ziemlich senkrecht unter seinem Startpunkt am Boden landen. Aber seine Flügel sind nach oben gewölbt. Das bedeutet: Strömt der „Fahrtwind“ gegen die Vorderkante des Flügels, entsteht an diesem eine Kraft, die den Vogel nach oben hebt. Dieser Auftrieb ist zwar kleiner als das „Fallgewicht“, reicht aber aus, den Gleitflug deutlich zu verlängern.

 

Was hat das mit meiner Storchenbeobachtung zu tun?

 

Die Sonne hat die Häuser und Straßen der Stadt aufgeheizt. Dadurch wird die Luft über der Stadt so stark erhitzt, dass sie als eine Art Schlauch oder als eine Serie von Blasen noch oben steigt. Das nennt man „Thermik“. Wenn nun unser Storch in diesem Thermik-Schlauch gleitend Kreise zieht, kann sein Höhenverlust durch die aufsteigende Luft nicht nur ausgeglichen werden, sondern der Storch kann sogar an Höhe gewinnen. Gleiten in einer aufsteigenden Luftströmung mit Höhengewinn nennt man Segeln. Segeln und Gleiten sind also zwei verschiedene Techniken des Fliegens. Gleiten kann jeder Vogel, aber nicht alle können segeln. - Nebenbei: das „Luftloch“, das so am Boden entsteht, wird durch seitlich heranströmende, frische und leicht kühlende Luft, z.B. vom Klosterberg kommend, ersetzt.

 

 

Im Segelflug spart der Storch im Vergleich zum aktiven Fliegen 90 – 95% seiner Energie. Den Rest braucht er, um die Flügel abgespreizt zu halten. Diese Methode ist natürlich nur solange ideal, solange Aufwinde existieren.  Ansonsten heißt es arbeiten: aktiver Ruderflug ist angesagt. Wenn auch nicht alle Störche wie der Großteil von ihnen nach Afrika ziehen, sondern manche hier bleiben und andere nur nach Südeuropa fliegen, so sind diejenigen, die es tun – zum Teil bis Südafrika! - auf ihrem Zug von der Thermik abhängig. Dummerweise ist nun mitten auf dem Zugweg das Mittelmeer. Und über dem Wasser gibt es keine Thermik. So bleibt ihnen nichts anderes übrig als im Osten oder im Westen auf dem Landweg das Mittelmeer zu umfliegen. Aber auch da gibt es noch eine Schikane, denn das Meer ganz zu umgehen, klappt nicht. Auf der Westroute müssen bei Gibraltar doch immerhin 14 km über das Meer geflogen werden; auf der Ostroute über den  Bosporus sind die Überquerungen deutlich kürzer und unproblematischer.

 

 

 

Wenn die Störche in Deutschland wegziehen, finden sie sich zu größeren Gruppen zusammen. Aus neueren Untersuchungen wissen wir, dass erfahrene Tiere die Führung übernehmen und die anderen, vor allem jüngeren ihnen folgen. Die Gruppenbildung hat noch einen zweiten Vorteil: Da viele, oft hunderte von Störchen über eine größere Fläche verteilt sind, ist es als Schar wahrscheinlicher, dass einer einen Thermikschlauch findet, in dem sie hoch kreisen und dann in Zielrichtung weiter gleiten, bis sie in einem neuen Thermikschlauch die Strategie wiederholen. In Gibraltar steht nun die entscheidende Phase bevor. Sie sollten in einem Aufwindschlauch so hoch kreisen können, dass sie im Gleitflug die afrikanische Küste erreichen können. Das gelingt normalerweise eher nicht. In der Regel bleibt eine Strecke für den viel anstrengenderen Ruderflug, die leider nicht immer alle schaffen.

 

 

Es gibt viele Segelflieger

Segeln können etliche Vogelarten. Bei uns im Bereich von Vorwald und Isarmündung können wir außer dem Weißstorch regelmäßig einen Mäusebussard, gelegentlich auch einen Wespenbussard, Schwarz- und Rotmilan, oder auch einen Schwarzstorch, Wiesen-, Rohr- und Kornweihe beobachten. Alle haben lange und vor allem breite Flügel. Vergleicht man das Körpergewicht des Vogels mit der Flügelfläche, ergibt sich bei den genannten Arten eine Flächenbelastung von ca. 10 g pro qcm auf den Flügeln

Segler par excellence sind die Geier. Beim Bartgeier (bis zu 3m Flügelspannweite) liegt die Flächenbelastung bei 5,6 g pro qcm. Das hat den Vorteil, dass er schon bei ganz schwachen Aufwinden segeln kann; ihm reichen bereits Luftströmungen, die gegen einen Hang prallen und so zum Austeigen gezwungen werden. Und auch die Strecken, die im Gleitflug überwunden werden, können sehr lang werden.  Mit dieser Körper- und Flügelausstattung ist aber auch ein gewaltiger Nachteil verbunden.  Werden die Winde stärker, funktioniert ihre Flugtechnik nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr. Zwar können sie die Flügel abwinkeln und einziehen und so die Flächenbelastung der Flügel erhöhen, aber ab bestimmten Windstärken sind auch da Grenzen gesetzt. Dann ist Schluss mit Suchflug auf Aas

 

 

Erwähnt sei, dass es auch noch andere Seglertypen gibt, die gerade die starken Winde über dem Meer und an den Meeresküsten ausnutzen können. Dazu gehören zum Beispiel die Albatrosse und die auch in Deutschland auf Helgoland lebenden Basstölpel. Sie haben sehr lange aber sehr schmale Flügel mit einer Flächenbelastung bis zu 16 g pro qcm. So werden sie von den Winden nicht verweht und können die Aufwinde, die an meterhohen Wellen oder am Küstenhang entstehen, nutzen und sogar wie Segelschiffe mit der Technik des Kreuzens gegen die Windrichtung vorwärts kommen.

 

 

 

 

 

Der Vogelflug, ganz gleich um welche Art es sich handelt, braucht körperliche und funktionelle Anpassungen. Sie äußern sich im Aufbau des Skeletts, im Ersatz der Haare durch Federn, in der Ausstattung mit speziellen, besonders starken Lungen, die mit Luftsäcken verbunden sind, und auch in Augen, die deutlich leistungsfähiger sind als unsere. Dazu kommt: Ohne empfindliche Sinnesorgane an der Basis der großen Federn an Flügeln und Schwanz wäre ein exaktes und differenziertes Erfassen der Luftströmungen überhaupt nicht möglich. Das ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt fliegen zu können, nicht abzustürzen, in der Luft Beute zu fangen, und zu unfallfreiem Landen und Starten. Vieles davon müssen die Jungvögel erst lernen. Ein erfahrener Sportsegelflieger-Pilot oder Drachenflieger könnte sicher manches dazu sagen, aber auch er könnte die Welt „Luftraum“ eines Vogels nur annähernd nachempfinden. Alleine wenn man sich vorstellt, dass der Einflug in eine Thermik eine schlagartige Änderung der Strömungsverhältnisse bedeuten kann: Der Vogel kann urplötzlich in einen „Fahrstuhl“ mit Aufwärtsgeschwindigkeit von 20 km/h und deutlich mehr kommen. Das muss der Vogel rechtzeitig spüren und sein Gehirn muss nun blitzschnell „berechnen“, wie er zu reagieren hat.

 

 

 

 

 

Abschließend lässt sich sagen: Fliegen ist nicht gleich Fliegen. Vögel haben recht unterschiedliche angeborene Flugtechniken.  Und manchmal erkennt man alleine daran eine bestimmte Vogelart: Eisvögel und Stare fliegen kerzengerade; Spechte (außer dem Schwarzspecht) schwingen in großen Bögen;  Pieper scheinen jeden Moment abzustürzen; Stieglitze fliegen eher „hüpfend“ in lockeren Schwärmen;  Kormorane, Gänse oder Kraniche bevorzugen einen Formationsflug in V-Form, nutzen die Luftwirbel, die der „Vordervogel“  erzeugt und sparen damit Kräfte („Windschattenfliegen“); wieder andere wie Fischadler, Basstölpel oder auch Eisvögel legen zum Beutefang akrobatische Sturzflüge ein. Damit eröffnen sich weitere Dimensionen der Vogelwelt: Wie finden und fangen sie ihre Nahrung, wie verständigen sie sich, wie schützen sie sich vor Feinden…? Auch dazu existieren verschiedenste Antworten. Wir nehmen diese Beobachtungen als ganz selbstverständlich hin, ohne uns Gedanken zu machen: das machen sie halt so. Dabei können wir die Welt anderer Lebewesen bloß aus unserer menschlichen Welt heraus beobachten, verstehen oder nachempfinden können wir sie aber nicht. Wir können nur bewundernd staunen – bis er entschwunden ist, unser Storch.

 

 

 

 

Werner Oertel